Der Europäische Protesttag für Menschen mit Behinderungen - überschattet von der Bluttat in einem Potsdamer Wohnheim für behinderte Menschen

Behindertenpolitik

Der Sprecher*innenrat der BAG Selbstbestimmte Behindertenpolitik DIE LINKE veröffentlichte zum Europäischen Protesttag zur Gleichstellung von Menschen mit Behinderungen die nachstehende Pressemitteilung:

Der Europäische Protesttag für Menschen mit Behinderungen - überschattet von der Bluttat in einem Potsdamer Wohnheim für behinderte Menschen

Trauer und Entsetzen, das waren unsere Gefühle, als wir von der Bluttat in einer sogenannten Behinderteneinrichtung gelesen haben. 4 Menschen mit Behinderungen sind auf schreckliche Art umgebracht worden, eine Frau wurde schwer verletzt. Unser Mitgefühl gilt den Familien und Freunden und Freundinnen der Opfer.

Die Ermittlungen der Polizei gegen die Tatverdächtige sind noch nicht abgeschlossen. In der Zeitung und im Fernsehen wird berichtet und spekuliert – über die Täterin, ihre Motive, die Einrichtung. Sogenannte Expert*innen melden sich zu Wort, Erklärungen werden gesucht – aber über Strukturen wird nicht gesprochen, die Opfer geraten in den Hintergrund. Ableismus dominiert die Berichterstattung: Die Opfer werden oft auf ihre Behinderung reduziert

Laut polizeilicher Kriminalstatistik ist zwischen den Jahren 2015 und 2019 die Zahl der Menschen mit Behinderungen, die im Gesundheitswesen Opfer einer Straftat geworden sind, um knapp 50% gestiegen.

Seit Jahren wird über den Missbrauch und die Gewalt gegen Kinder und Jugendliche in Kinder- und Jugendheimen und Einrichtungen der Behindertenhilfe berichtet. Es kommt immer mehr ans Licht, so z.B. die Medikamentenversuche und der Medikamentenmissbrauch in den Einrichtungen.

In einer Einrichtung in NRW wird seit einigen Monaten wegen Fixierungen und den Einsatz von Reizgas gegen Menschen mit Behinderungen ermittelt. Es soll mehr als 30 Opfer und viele Täter*innen geben.

Aus Pflege- und Wohnheimen für Menschen mit Behinderung und alte Menschen werden immer wieder Fälle von Übergriffen, Einschränkung von Freiheit, Vernachlässigung, Missbrauch, Diskriminierung und Beleidigung berichtet. Sind es Einzelfälle? Nein, es ist die Heim-Struktur, die Orientierung auf effektive und preiswerte „Versorgung“, Das Ergebnis davon zeigen die oben aufgeführten Beispiele. Und diese Struktur einer Sondereinrichtung begünstigt Gewalt und Diskriminierung. Durch Ausgrenzung wird die mangelnde soziale Kontrolle begünstigt.

Die blutigen Ereignisse lehren uns: Die Kombination von Ableismus und Sondereinrichtung führt letztendlich zur doppelten Opferrolle von Menschen mit Behinderungen. Auf der einen Seite gelten sie als „besonders schutzbedürftig“, auf der anderen Seite begünstigt ihre Unterbringung in Sondereinrichtungen strukturelle Gewalt gegen sie. Auch deshalb unterstützen wir als LINKE das selbstständige Wohnen von Menschen mit Behinderungen. Dazu bedarf es mehr und ausreichende Assistenz. Wir stellen Sondereinrichtungen grundsätzlich in Frage – nicht nur am 5. Mai, dem Europäischen Protesttag von Menschen mit Behinderungen.