Lasst uns frei atmen!

Von der Notwendigkeit der Verhinderung eines Rehabilitations- und Intensivpflegeschwächungsgesetzes

Der Sprecher*innenrat der BAG Selbstbestimmte Behindertenpolitik positioniert sich eindeutig und vehement gegen den Gesetzentwurf "Rehabilitations- und Intensivpflegestärkungsgesetz" (RISG) vom Bundesgesundheitsminister Jens Spahn. der Sprecher*innenrat der BAG hat deshalb die nachstehende Stellungnahme verfasst und verabschiedet:

Vor etwa drei Jahren formierte sich eine Behindertenbewegung, die für die Umsetzung eines Bundesteilhabegesetzes stritt, das diesen Namen auch wirklich verdient hätte. Bereits damals war die Verteidigung des Rechts, selbst entscheiden zu können, wo und mit wem man leben will, ein entscheidender Schauplatz der Auseinandersetzungen. Unter dem Schlagwort des „Poolings“ wollte der Gesetzgeber notwendige Assistenzleistungen für mehrere Menschen zusammenlegen und auf diese Weise Geld sparen. Volle und wirksame Teilhabe ist mit dieser Regelung nicht mehr garantiert, auf dieser Grundlage können Menschen sogar gegen ihren Willen gezwungen werden, in Heimen zu leben. Nun kommt aus dem Bundesgesundheitsministerium der nächste Anschlag auf die Selbstbestimmung von kranken und behinderten Menschen und fordert den Widerstand der Betroffenen heraus.

Unter dem wohlklingenden Titel „Rehabilitations- und Intensivpflegestärkungsgesetz“ (RISG) hat der Bundesgesundheitsminister Jens Spahn einen Gesetzentwurf vorgelegt, der angeblich das Ziel verfolgt,  die besonderen Bedarfe intensivpflegebedürftiger Versicherter angemessen zu berücksichtigen und die Qualität der notwendigen Intensivpflege zu gewährleisten. Zu diesem Zweck fordert der Entwurf jedoch, dass diese Intensivpflege zukünftig nur noch in vollstationären Einrichtungen stattfinden solle, weil dort die Qualität der Pflege umfassender zu kontrollieren sei als bei ambulanten Diensten. Folgte man diesem Vorhaben, so würden recht bald Menschen, die auf Beatmung (denn das ist eine Form der Intensivpflege) angewiesen sind, in spezialisierte Heime gezwungen werden. Ausgenommen wären einzig Kinder und Jugendliche unter 18 Jahren, weil man sie nicht zwangsweise von ihren Eltern trennen möchte. Selbst Menschen, die schon heute erfolgreich beatmet ein aktives Leben in der Gesellschaft und in ihren eigenen vier Wänden leben, sind von diesen Plänen betroffen, denn der Entwurf sieht nur eine dreijährige Übergangsfrist für diese Menschen vor, da für sie – so heißt es dort – „[…] eine abrupte Verlegung in ein neues Umfeld eine besondere Härte darstellen“ würde. Unausgesprochen, aber freilich offenkundig bleibt der Gedanke, dass man sich innerhalb dieser Frist doch wohl an die Perspektive eines Lebens in einer vollstationären Einrichtung würde gewöhnen können. Das ist zumindest eine bemerkenswerte Interpretation des Geistes der UN-Behindertenrechtskonvention. Der vorliegende Gesetzentwurf beseitigt sowohl das Recht, entscheiden zu können, wo und mit wem man wohnen möchte und damit auch die Möglichkeiten einer selbstbestimmten, vollen und wirksamen Teilhabe am gesellschaftlichen Leben für die betroffenen Menschen.

Lenkt man schließlich den Blick auf den Hintergrund der Pläne des Gesetzgebers, wird einiges klarer, besser wird jedoch nichts. Da ist die Rede von Betrugsmöglichkeiten durch Anbieter ambulanter Dienste, von Fehlanreizen und von Qualitätsmängeln. Unter dem Strich aber hält der Gesetzesentwurf fest, der gesetzlichen Krankenversicherung könne durch die Verbesserung „[…] der Qualität im Bereich der außerklinischen Intensivpflege verbunden mit einer regelhaften Leistungserbringung in vollstationären Pflegeeinrichtungen oder in speziellen Intensivpflege-Wohneinheiten […] Einsparungen in einem mittleren dreistelligen Millionenbetrag entstehen.“ Am Ende geht es offensichtlich mal wieder darum, auf Kosten der Lebensqualität, der Selbstbestimmung und der gesellschaftlichen Teilhabe von Menschen mit Behinderungen Geld zu sparen. Eine Umsetzung dieser Maßnahmen wäre Ausgrenzung in Gesetzesform.

Diese Pläne nehmen nicht nur Beatmungspatient*innen buchstäblich den Atem. Sie treten die Rechte der Betroffenen und jede Idee einer inklusiven Gesellschaft mit Füßen. Deshalb dürfen sie niemals umgesetzt werden und es ist gut, dass sich bereits jetzt breiter Widerstand gegen dieses Projekt formiert hat. Die BAG Selbstbestimmte Behindertenpolitik der LINKEN kämpft als Teil der emanzipatorischen Behindertenbewegung für eine inklusive und solidarische Gesellschaft, die keine Ausgrenzung mehr kennen soll. Aus diesem Grund unterstützt die BAG Selbstbestimmte Behindertenpolitik der LINKEN die Protestbewegung zur Verhinderung des Rehabilitations- und Intensivpflegeschwächungsgesetzes – wie es zutreffender heißen müsste. Es geht nicht zuletzt darum, dass Beatmungspatient*innen ohne Angst leben und frei atmen können.